Am Anfang war Polnisch eine Geheimsprache

In regelmäßigen Abständen veröffentlicht die LaNa Geschichten von Personen unterschiedlichen Alters, die sich aufgrund verschiedener Anlässe und Motivationen den Sprachen und der Kulturen unserer Nachbarn in Polen und Tschechien geöffnet haben.

Heute stellen wir Ihnen in dieser Reihe einen Kenner Polens und Botschafter des Deutsch-Polnischen Jugendwerkes (DPJW) vor, der sich autodidaktisch die polnische Sprache erschlossen hat. Die Hintergründe dazu erzählt seine Geschichte:

Dr. Matthias Kneip hat einen geschichtsträchtigen deutsch-polnischen Familienhintergrund. Seine Großeltern lebten in der Nähe des damaligen Oppeln (heute Opole) in Oberschlesien. Nach dem zweiten Weltkrieg blieben die Großeltern in ihrer Heimat, mussten aber im Zuge der Polonisierung auf ihre Muttersprache Deutsch in der Öffentlichkeit verzichten. So wuchsen seine Eltern, damals 5 und 9 Jahre jung, ab diesem Zeitpunkt in der Schule und im öffentlichen Leben ausschließlich mit Polnisch heran, während zu Hause das Deutsche nur heimlich weiter gepflegt werden konnte.

Die Eltern siedelten von Polen nach Deutschland aus, fanden sich als Paar und in Bayern eine neue Heimat. Hier wurde auch Matthias Kneip geboren. „Mein Vater spricht ein ausgezeichnetes Polnisch. Meine Eltern legten jedoch Wert darauf, dass wir in Deutschland vor allem ein gutes Hochdeutsch erlernen und sprechen“, sagt Matthias Kneip. Er führt weiter an, dass es in seiner Kindheit lediglich 3 Berührungspunkte für ihn und seinen Bruder mit der polnischen Sprache gab: „Zum einen wurde bei jedem Geburtstag, den ein Familienmitglied beglich, das polnische Sto lat, sto lat… in der bekannten kurzen Variante gesungen.“ Andere Lieder wurden nicht gesungen, so dass ihm die polnische Hymne auf ein 100-jähriges Leben in Fleisch und Blut überging.

Ein weiterer Punkt war, dass sich seine Eltern immer dann Polnisch miteinander unterhielten, wenn die Kinder etwas nicht verstehen sollten, z.B. um geheime Absprachen während der gemeinsamen Mahlzeiten zu treffen. „Mein Bruder und ich wussten damals nicht, dass diese Geheimsprache unserer Eltern Polnisch ist. Wir dachten lange, es sei tiefstes Bayrisch, da wir ja in der Familie ausschließlich Hochdeutsch miteinander redeten.“

Der dritte Berührungspunkt zur polnischen Sprache bestand aufgrund der weihnachtlichen Gesangstraditionen in der Familie von Matthias Kneipp. Das Singen der sogenannten polskie kolȩdy (polnischen Weihnachtslieder) war ein Hauptbestandteil der alljährlichen Feierlichkeiten im Dezember und wurde von seinen Eltern und Großeltern entsprechend zelebriert, während er und sein Bruder eher still zuhörten, da die Texte für sie nichtssagend waren. Diese drei Dinge hätten ihn jedoch so nachhaltig geprägt, dass er sie heute auch an seine Kinder weitergibt. Vor allem das polnische Geburtstaglied bekommen sie alljährlich zu hören.

Aus den Kinderschuhen herausgewachsen und im Rahmen seines Studiums, lebte Matthias Kneip einige Zeit in der Heimat seiner Großeltern und Eltern, in Oberschlesien, um an seiner Magisterarbeit zu schreiben. Sein Interesse galt damals dem Prozess der Wiedereinführung der deutschen Sprache in polnische Bildungseinrichtungen und ihrer Anerkennung als Kulturgut in den noch teilweise deutschsprachig-geprägten Regionen Polens. „Beigebracht habe ich mir das Polnische ab dieser Zeit im Selbststudium.“ Und er erläutert aus seiner Erfahrung heraus, dass, beim längeren Lernen das Polnische leichter sei als das Englische: „Beim Polnisch lernen stirbt man im 1. und 2. Jahr, ohne merklich kommunikativ zu sein, während man mit dem Englischen in den mündlichen Fähigkeiten zu Lernbeginn schnell weiter kommt. Bevor es im Englischen dann wirklich schwierig wird, hören die meisten aber auf, die Sprache weiter zu lernen, während das Sprachgefühl und das fließender werdende Sprechen im Polnischen erst dann einsetzen und leichter von der Zunge gehen.“

Seine Neugier und sein lebendiges Interesse an den Zusammenhängen seiner eigenen Familiengeschichte und an der polnischen Kultur und Sprache vor dem Hintergrund des politischen Zeitgeschehens der Vergangenheit haben ihn auf seinen Weg gebracht. Heute ist Matthias Kneip nicht nur im deutschen, sondern auch im polnischen Sprach- und Kulturraum zu Hause und überzeugend als Mittler sowie Unterstützer der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Nachbarn im Einsatz. So versucht er z.B. über seine Publikationen den Menschen in Deutschland das Nachbarland und seine Einwohner/-innen nahe zu bringen.  Besonders gelingt ihm der Zugang zu Schülern/-innen, die er auf seinen Lesereisen oder in den Schulen besucht, wo oft auch das PolenMobil Station macht. „Viele waren noch nie in Polen, mit der Begründung, sie würden die Sprache weder sprechen noch verstehen. Fragt man sie dann, wohin sie im Sommer mit den Eltern in den Urlaub fliegen, steht so manch exotisches Land auf dem Reiseplan und sie entdecken, dass meist auch diese Sprachen nicht zu ihrem Sprachumfeld gehören.“ Außerdem sei Polen heute weltweit das erste Land, wo die meisten Menschen die deutsche Sprache erlernen, an der Verständigung würde ein Besuch in Polen also nicht scheitern. Matthias Kneip plädiert weiterhin dafür, dass in den deutschen Grenzregionen zu Polen möglichst viele junge Menschen von klein auf die Chance erhalten sollten, die polnische Sprache in den Bildungseinrichtungen zu erlernen und ist überzeugt, dass „unter vielen Bewerbern mit englischen und französischen Sprachkenntnissen der- oder diejenige positiv herausfalle, wo z.B. Nachbarsprachkenntnisse in Polnisch anführt werden“.

Die LaNa bedankt sich bei Dr. Matthias Kneip für die Einblicke in die deutsch-polnische Geschichte seines Lebens und freut sich, dass sein Wissen auch im Rahmen des Fortbildungsangebotes für sächsische und niederschlesische Erzieher/-innen „Groß für Klein – Duzi dla małych“ einfließt. So war er am 19./20.04.18 zu Gast in Görlitz und hat in einer öffentlichen Lesung sein Buch „111 Gründe Polen zu lieben“ auf unterhaltsame Weise vorgestellt. Außerdem führte er ein Seminar mit der Erzieher-Fachschulklasse SPE17 des Berufsschulzentrums Christoph-Lüders durch, das die Schüler/-innen im Rahmen der Evaluation als einen besonderen Höhepunkt ihres Schuljahres hervorhoben. Auch im 2. Pilotkurs ab September 2018 wird Dr. Kneip wieder in die Region kommen. Die Termine sind unter www.nachbarsprachen-sachsen.eu veröffentlicht.

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