Grenzregionen sind perfekte Entwicklungslabore für europäische Sprachenpolitik

Das ist eine von mehreren Thesen, auf die sich die Teilnehmenden im Ergebnis der Fachtagung „Grenzraum – Mehrsprachigkeitspolitik – Europa“ einhellig verständigt haben. Die Veranstaltung fand am 22. und 23. April 2024 im Internationalen Begegnungszentrum St. Marienthal statt. Sie führte u. a. Akteure aus Wissenschaft, Verwaltung und Politik aus verschiedenen europäischen, grenzüberschreitenden Regionen zusammen. Gemeinsam diskutierten sie die Passfähigkeit europäischer Sprachenpolitik in den Grenzräumen zu den benachbarten Staaten. Die LaNa und KoKoPol haben die Fachtagung gemeinsam als Kooperationspartner konzipiert und durchgeführt, um einen internationalen und interregionalen Fachaustausch zu ermöglichen.

Impressionen und Impulse aus der Veranstaltung

Zentraler Bestandteil zu Beginn der Fachtagung am 22.04. waren zwei aktuelle Empfehlungen europäischer Institutionen:

auf die sich ALLE Mitgliedsstaaten im Vorfeld geeinigt hatten. Diese bildeten die Basis für die gemeinsame Diskussion in St. Marienthal. Daraus hervor geht der Ansatz einer „plurilingualen Bildung, die mehrsprachig kompetente Europäerinnen und Europäer fördert und damit der individuellen Mehrsprachigkeit des einzelnen Menschen dient“, konstatierte Prof. Waldemar Martyniuk von der Universität Krakau.

Den wesentlichen Einfluss historisch bedingter Sprachenpolitik auf den gegenwärtigen Umgang mit Mehrsprachigkeit einer Nation bzw. sich daraus ergebende Unterschiede und unterschiedliche Herangehensweisen in benachbarten Regionen legte Dr. Agnes Kim von der Universität Wien in ihrem anschaulichen Vortrag dar.

Eine weitere Perspektive brachte der sprachwissenschaftliche Impuls von Dr. Magdalena Telus von KoKoPol in den Diskurs ein. Sie betrachtete Begrifflichkeiten der sogenannten Grenzraumsprachen (Borderlanguages) und einer regionalen Sprachlichkeit (regional languaging) und dass diese für Grenzräume und die dort beheimateten Menschen identitätsstiftend sein können.

Dr. Regina Gellrich fokussierte schließlich das Potenzial der Mehrsprachigkeit für die (Euro)Regionalentwicklung mit der Schlussfolgerung, dass Grenzräume als gemeinsame (grenzüberschreitende) Bildungsräume verstanden und ausgestaltet werden müssen, um die besonderen Chancen nachbarsprachiger Bildung zu nutzen, und das vor allem auch über formale Lernkontexte hinaus.

Am Folgetag wurde die Diskussion an Hand von Beiträgen aus verschiedenen Grenzregionen – angefangenen von der Frankreich-Strategie des Saarlandes über die spezifische Mehrsprachigkeitspraxis im deutsch-dänischen Grenzgebiet, strategische Ansätze aus den beiden brandenburgisch-polnischen Euroregionen ProViadrina und Spree-Neiße-Bober bis hin zu Projekten der bayrisch-österreichisch-tschechischen Euroregion Bayrischer Wald – Böhmerwald- Unterer Inn – vertieft und mit vielfältigen Aspekten zur Situation der Mehrsprachigkeit in den jeweiligen Regionen untersetzt.  

Was sagen Politikerinnen und Politikern zum Thema: Einblicke in die Podiumsdiskussion

Unerwartet harmonisch gestaltete sich die parteiübergreifende Gesprächsrunde zwischen den geladenen Politikerinnen und Politikern am Abend des 22.04.2024. Der öffentlichen Podiumsdiskussion waren auch Bürgerinnen und Bürger der Region ins Publikum gefolgt. Sowohl Petra Čagalj Sejdi (MdL, GRÜNE), Harald Baumann-Hasske (SPD) als auch Staatssekretär Conrad Clemens (CDU) bestätigten, dass „nicht alle Potenziale [im sächsisch-polnisch-tschechischen Grenzraum] ausgeschöpft sind“ und Politik auch bildungspolitisch „von ihrem hohen Ross heruntersteigen“ muss und es „pragmatischeren Lösungen“ bedarf, die z. B. auch in den neuen Koalitionsvertrag ab Herbst dieses Jahres einfließen sollten. Außerdem, so Baumann-Hasske, sollte in Grenzregionen wie unserer hier in Sachsen „spätestens beim Zweitsprachenerwerb in der Schule, eine Sprache erworben werden können, die man in der Umgebung versteht und anwenden kann.“

Katarzyna Hübner (Geschäftsführerin DPFA Europrymus Schulen) war als Vertreterin der Bildungspraxis ins Podium geladen. Sie brachte Herausforderungen und Hürden im Zusammenhang mit der Freizügigkeit bei der Schulwahl für in Sachsen wohnende Familien in die Diskussion ein. Sie schilderte anhand aktueller Referenzbeispiele, wo das Europa der Regionen im Grenzraum „nicht sinnstiftend ist“ und Menschen innerhalb geringer geografischer Distanzen ungleiche Zugangsvoraussetzungen bietet. Auch dieses Problem ist der Politik nicht unbekannt und es wurde auf den aktuellen Gesprächsprozess verwiesen, der mit allen beteiligten Akteuren nach einer einheitlichen Lösung sucht.   

Was passiert mit den Ergebnissen der Fachtagung

Die Ergebnisse der Fachtagung und die gemeinsam diskutierten Thesen fließen nun in ein Memorandum „Mehrsprachigkeit im Grenzraum“ ein, welches u. a. in Kürze auf den Homepages der beiden Organisatoren LaNa und KoKoPol einsehbar ist. Parallel dazu sollen die daraus resultierenden Kernfragen zur Mehrsprachigkeitspolitik für den Grenzraum im Vorfeld der anstehenden sächsischen und europäischen Wahlen an alle Parteien gerichtet werden.  

Zum Ende der Fachtagung waren sich alle Teilnehmenden einig: Der gemeinsame Diskurs auf Augenhöhe in einem Netzwerk aktiver Grenzregionen, wie jener in St. Marienthal, unterstützt die Weiterentwicklung jeder einzelnen Region, indem wertvolle Schnittstellen genutzt und Best-Practice-Beispiele in den europäischen Transfer zwischen den Regionen gebracht werden können. Ebenso kann so ein Netzwerk Herausforderungen gemeinsam begegnen und innovative Lösungsansätze entwickeln, getreu dem Motto „Am besten gemeinsam“. In diesem Sinne sprachen sich alle Teilnehmenden für weitere und regelmäßige Fachaustausche dieser Art aus. Darauf freuen (nicht nur) wir von der LaNa uns bereits heute. Herzlichen Dank an alle Mitwirkenden der Veranstaltung.

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