Bilinguale „Erzähl-Inseln“ starten

Deutsch-tschechisches Erzähltandem J.Richter und J.Podlipná
Deutsch-tschechisches Erzähl-Tandem J.Richter und J.Podlipná

Der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien geht mit seinem Projekt „Erzählen – ein Schatz für die Zukunft“ in diesem Jahr in die zweite Runde. Die Kindertagesstätten der Landkreise Görlitz und Bautzen waren im Frühjahr aufgerufen, sich um eine Teilnahme zu bewerben. Nun sind die Würfel gefallen: Insgesamt 6 Kitas wurden von einer Jury ausgewählt und können sich bis zum Jahresende auf die Zusammenarbeit mit einem deutsch-polnischen, einem deutsch-tschechischen bzw. einem deutsch-sorbischen Tandem professioneller Schauspieler und Erzähler freuen. Was in dem Projekt konkret passiert und was dies mit „unserem“ Thema Nachbarsprache von Anfang an! zu tun hat, darüber sprachen wir mit Ulf Großmann, Koordinator der Netzwerkstelle Kulturelle Bildung des Kulturraums und Initiator des Projektes:

 Frage: Sehr geehrter Herr Großmann, was ist aus Ihrer Sicht das Besondere am Erzählen und was bringt es den Kindern?

Deutsch-tschechisches Erzähl-Tandem in der Kita Knirpshausen in Zittau
Deutsch-tschechisches Erzähl-Tandem in der Kita Knirpshausen in Zittau

Das Erzählen ist eine Form der Kommunikation mit jahrhundertelanger Tradition und kunstvollen Ausprägungen. Denken Sie nur an die Märchen und Mythenerzähler im alten Orient. Mündlich ein Erlebnis oder eine Geschichte anschaulich zur Darstellung zu bringen, bedarf langen und ständigen Übens und frühzeitiger Begegnung mit dieser Form der Weitergaben von Erfahrungen und Erkenntnissen. Erzählen impliziert das konzentrierte Zuhören und fordert zum Nacherzählen auf. Es greifen also sehr komplexe und mannigfaltige Wahrnehmungs- und Gestaltungsprozesse ineinander. Die zuhörenden Kinder werden dabei zu aktiven Partnern des Erzählenden. Sie müssen lernen zu zuhören und sich zu konzentrieren. Sie sollen sich natürlich auch die Geschichten merken und nacherzählen können. Speziell in unserem Erzählprojekt geht es überdies noch um zweisprachiges Erzählen.

Frage: Wie setzt das Erzähl-Projekt dies um? Was passiert konkret in den beteiligten Kitas?
Wir haben drei erfahrene Erzähler-Tandems gebildet, die jeweils aus zwei MuttersprachlerInnen (deutsch-polnisch, deutsch-sorbisch, deutsch-tschechisch) bestehen. Sie gehen in die Einrichtungen, um mit den Kindern zweisprachig zu erzählen. Dazu werden altersspezifische Geschichten vorbereitet, die nicht etwa übersetzt, sondern fortlaufend in den jeweiligen Sprachen erzählt werden. Die Kinder lernen so einfache Wörter in der anderen Sprache kennen. Natürlich achten die Erzählenden darauf, dass die Wörter immer wiederkehren und auch mit Zeichen oder Bewegungen begleitet werden. Die Kinder gestalten die Geschichten mit Gesten oder Körpersprache selbst mit und bekommen auf diese Weise eine Hilfsstellung, um sich die Geschichten oder eben die fremdsprachigen Wörter besser zu merken. Bei größeren Kindern wird in der nächsten Erzählstunde dann die Geschichte durch die Kinder selbst wiederholend erzählt. Die Kinder lernen auf diese Weise kennen, wie selbstverständlich und respektvoll man sich auch in einer anderen Sprache verständigen kann. Außerdem kommen sie – anders als bei elektronischen Medien – in unmittelbaren Kontakt mit den Erzählenden. Sie hören am Stimmklang und sehen in Gestik und Mimik der Erzählenden ganz direkt auch Emotionen und Empfindungen.

Frage: Der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien ist viersprachig, also deutsch, polnisch, sorbisch und tschechisch geprägt. Was sind die Herausforderungen des mehrsprachigen Erzählens und wie gelingt es, die Sprachen in das Projekt zu integrieren und für die Kinder erlebbar zu machen?
Die Erzähler-Tandems müssen gute aufeinander eingestellt sein. Sie müssen vorab das zweisprachige Erzählen der Geschichten proben und sollten die Sprache des anderen wenigstens ein bisschen kennen, um zu verstehen, vorüber gerade in der anderen Sprache gesprochen wird. Wie bereits beschrieben wird beim Erzählen sehr darauf geachtet, dass Wiederholungen, aktivierende Bewegungen und das gemeinsame Sprechen oder auch das Singen einzelner Passagen – z.B. das Zählen im einstelligen Zahlenbereich oder das rundgesangartige Repetieren bei Kettengeschichten – zur Festigung der zu verstehenden Wörter angewendet werden.

Frage: Was melden Ihnen die beteiligten Einrichtungen aber auch die erzählenden Schauspielerinnen und Schauspieler aus den bilingualen Erzähl-Inseln zurück: Wie erleben sie die bewusste Zweisprachigkeit des Projektes?
Wir sind momentan noch dabei, selbst viel zu lernen und müssen verschiedene Techniken und Methoden erst einmal ausprobieren. Das Experimentieren gehört einfach dazu, wenn man neue Erfahrungen machen möchte. Grundsätzlich habe ich bei den Erzählenden, die durchaus anfangs auch skeptisch waren, viel Begeisterung und Freunde an dieser speziellen Arbeit mit den Kindern erfahren. Bei meinen Hospitationen habe ich bei Kindern und Erzieherinnen einhellig positive Resonanz erlebt. Auch die Ergebnisberichte, die zum Ende des Projektes verfasst worden sind, spiegeln dieses Bild eindeutig wider. Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Kinder nach einer gewissen Zeit die Zweisprachigkeit nicht als etwas Absonderliches sondern als etwas ganz Normales empfinden, selbst wenn sie nicht alles so wie in der Muttersprache verstehen. Die methodische Unterstützung die Gesten und Bewegungen hilft dabei sehr.

Frage: Inwiefern stehen die Kulturräume des Freistaates Sachsen miteinander im praktischen Austausch und profitieren möglicher Weise von derartigen Projekten bei der Umsetzung in den eigenen Regionen? Die LaNa denkt hier insbesondere an die sächsisch-tschechische Grenzregion bzw. die Kitas zwischen dem Vogtlandkreis und dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.
Wir sind natürlich eng miteinander vernetzt und berichten über unsere Projekte, die wir in unseren jeweiligen Regionen machen. Das Projekt wird als Modellvorhaben durch das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert. Unsere Erkenntnisse stellen wir selbstverständlich in unseren Berichten zur Verfügung. Außerdem arbeiten wir mit anderen Vereinen und Initiativen zusammen, die sich auch um das künstlerische Erzählen bemühen. Unsere Erzählenden sind zu Teil aktiv in diesem Vereinigungen tätig. Auf diese Weise kommt es zu einem intensiven Erfahrungsaustausch. Speziell das tschechisch –deutsche Erzähler-Tandem ist sehr daran interessiert auch in anderen Regionen zu arbeiten und die in unserem Projekt gemachten Erfahrungen weiter zu geben.
Wir haben uns darüber hinaus externe Expertise bei Frau Nikola Hübsch aus Freiburg i.B. eingeholt. Sie ist seit vielen Jahren in diesem Feld der Kulturellen Bildung unterwegs und verfügt über einen überreichen Erfahrungsschatz als Erzählerin und Kursleiterin, den sie gern weitergibt. Sie hat im vergangenen Jahr mit unseren Erzähler-Tandems bei einem Auftaktmeeting drei Tage intensiv gearbeitet und wird uns auch in diesem Jahr wieder beratend zur Seite stehen.

Die LaNa bedankt sich bei Ulf Großmann für die Einblicke in das Erzählprojekt des Kulturraumes Oberlausitz-Niederschlesien. Wir wünschen der zweiten Runde des Projektes gutes Gelingen und den beteiligten Kitas viel Freude und jede Menge „gespitzte Kinderohren“ in den Erzähl-Inseln.

Übrigens: Einblicke in das Erzählprojekt gibt es auch aus Perspektive des deutsch-tschechischen Erzähl-Tandems in einem Interview mit Julia Richter und Jana Podipná  in unserem Blog vom 24.11.2016.

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