Autorin: Julia Švarc, Übersetzerin für Deutsch, Englisch und Tschechisch, julia.svarc@gmail.com
Das Thema „Mehrsprachigkeit im Kindergarten“ ist nicht neu, doch durch den anhaltenden Flüchtlingszustrom gewinnt es zunehmend an Bedeutung. Erzieherinnen und Erzieher stehen vor der Herausforderung, mit der Sprachenvielfalt der Kinder richtig umzugehen. Sie stoßen nicht selten an ihre Belastungsgrenzen. Und auch die Kinder müssen sich in der neuen Kultur und Sprache zurechtfinden, mit der sie im Kindergarten oft zum ersten Mal für längere Zeit in Kontakt kommen. Der Deutscherwerb hat einen hohen Stellenwert, da er die Basis für die weitere Bildung des Kindes darstellt. Ist in dieser Situation für Nachbarsprachen überhaupt noch Platz? Schadet der zusätzliche Fremdsprachenunterricht nicht sogar?
Um diese Fragen eindeutig beantworten zu können, muss unterschieden werden, in welchem Umfang Fremdsprachenunterricht, für den sich in der Grenzregion Nachbarsprachen besonders anbieten, stattfinden soll.
Während für deutsche Kinder das immersive „Eintauchen“ in die Nachbarsprache kein Problem darstellt (siehe auch Blogbeitrag vom 26.11.2015 „Immersion – was ist das?), ist für Kinder mit Migrationshintergrund von einer Immersion, bei der die Kinder ständig von einer Nachbarsprache umgeben sind, grundsätzlich abzuraten. Denn wenn sie im Kindergarten z. B. ausschließlich Tschechisch oder Polnisch hören und sprechen und in der Familie kein Deutsch verwendet wird, würden die sprachlichen Anreize aus der Umgebung für einen altersgerechten Deutscherwerb nicht ausreichen. Dazu kommt noch, dass diese sprachlichen Anreize im Gegensatz zur Kommunikation in der Familie meist zu indirekt sind, da die Kinder selten selbst in Interaktion treten müssen. Das ist beispielsweise beim Einkaufen der Fall, wenn sie nicht selbst bestellen oder bezahlen müssen, sondern nur passiv zuhören.
Für Nachbarsprachenunterricht im Kindergarten, der in einem geringeren Umfang stattfindet (von einmal wöchentlich bis etwa 30 min täglich), gilt jedoch das Gegenteil. Er ist gerade für Kinder mit Migrationshintergrund sehr förderlich – und zwar auch für ihren Deutscherwerb. Das hat mehrere Gründe. Im Gegensatz zum Immersionsansatz, bleibt ihnen im Kindergartenalltag noch genügend Zeit für den deutschen Spracherwerb. Sie bekommen deutschsprachige Anreize von vielen verschiedenen Personen und müssen auch mit Gleichaltrigen auf Deutsch aktiv in Interaktion treten. Allerdings erleben sich Kinder mit Migrationshintergrund im Kindergarten gegenüber ihren deutschen Spielgefährten oft als sprachlich benachteiligt. Sie werden selten für ihre sprachlichen Fortschritte gelobt. Der Fortschritt wird einfach vorausgesetzt. Mitunter wird sogar von einer schlechten Ausdrucksfähigkeit auf eine geringere Intelligenz der Kinder geschlossen, und sie werden dadurch oft unbewusst ausgegrenzt. All dies kann sich negativ auf das Selbstbewusstsein der Kinder auswirken.
Genau hier kann der Nachbarsprachenunterricht helfen. Kinder mit Migrationshintergrund haben bereits Erfahrungen mit dem Fremdsprachenlernen gemacht. Sie haben sich Strategien des Fremdsprachenlernens angeeignet und vermehrt Vernetzungen und Strukturen im Gehirn ausgebildet, die für das Erlernen jeder Fremdsprache genutzt werden können. Das macht sie in der Regel beim Fremdsprachenlernen gegenüber einsprachigen deutschen Kindern überlegen. Endlich können sie sprachlich gegenüber deutschen Kindern glänzen. Sie werden von der Fremdsprachenlehrerin oder dem Fremdsprachenlehrer vielleicht einmal mehr gelobt oder sogar bejubelt. Sie erleben, dass ihnen etwas zugetraut wird, und dass nicht nur von ihnen sprachlicher Fortschritt erwartet wird, sondern auch von ihren deutschsprachigen Spielgefährten. Das fördert ganz allgemein ihr Selbstbewusstsein. Aber sie merken auch, dass sich Sprachenlernen lohnen kann, dass es Freude macht. Diese Freude kann sich auch auf ihren Deutscherwerbsprozess übertragen. Damit dieser Effekt greift, sollten Kinder mit Migrationshintergrund den Nachbarsprachenunterricht unbedingt zusammen mit deutschen Kindern besuchen. Im Idealfall nehmen dieselben deutschen Kinder teil, mit denen sie ihren Kindergartenalltag verbringen. Denn gerade diese werden sonst als sprachlich überlegen wahrgenommen. Und selbst wenn die Kinder mit Migrationshintergrund beim Nachbarsprachenlernen nicht besser sind als ihre deutschen Spielgefährten, so machen sie immerhin die Erfahrung, dass auch die deutschen Kinder Fehler machen und korrigiert werden, dass auch ihnen Sprachenlernen Mühe macht. Kinder mit Migrationshintergrund erleben sich beim Fremdsprachenlernen im Kindergarten als genauso kompetent bzw. inkompetent wie die deutschen Kinder und eventuell sogar als kompetenter.
Das Lernen einer Nachbarsprache schadet Kindern mit Migrationshintergrund also nicht, sofern noch genügend Zeit für das Deutschlernen bleibt. Erzieherinnen und Erzieher kann es sogar entlasten, da sie mit motivierten Kindern besser arbeiten können. Nachbarsprachen haben in Kindergärten umsomehr ihre Berechtigung.