Zweisprachigkeit ist nicht gleich Zweisprachigkeit?!

(Autorin: Eva Rottmann)

Dass die Sache mit dem Fremdsprachenerwerb gar nicht so einfach ist, habe ich in meinem letzten Beitrag „Über die Tücken des Fremdsprachenerwerbs“ festgestellt. Daher finde ich es auch bewunderns- bzw. beneidenswert, wenn jemand fließend mehrere Sprachen spricht. Es schien mir folglich immer ein Segen zu sein, wenn man Fremdsprachen schon von Kindesbeinen an erwerben kann. Doch dann sah ich in dem bereits im letzten Beitrag erwähnten Buch „Wie kommt der Mensch zur Sprache“ allen Ernstes einen Satz vor mir, der in etwa besagte, dass Zweisprachigkeit Anfang der 60er Jahre als etwas Schlechtes galt. Zweisprachigkeit? Schlecht?

Ich konnte es gar nicht glauben. Begründet wurde diese Aussage mit einer Studie, die zu Tage förderte, dass zweisprachig aufgewachsene Kinder in der Schule durchschnittlich schlechter abschnitten. Doch keine Panik, schon im nächsten Satz wird die Aussage mit neueren Studien entkräftet. Diese belegen, dass bilinguale Kinder ein viel flexibleres Denken und ausgefallenere Ideen haben und außerdem sind sie laut Studie witziger. Auf den nächsten Seiten des Buches wird die Thematik weiter ausdifferenziert.

Es ist nämlich so, dass man verschiedene Arten von Zweisprachigkeit unterscheiden muss: die nebenordnende, die unterordnende und die vermischende Zweisprachigkeit. Vermischend bedeutet hier, dass sich die Bedeutungen der Wörter in den verschiedenen Sprachen vermischen. Die Grammatik dagegen ist davon kaum betroffen. Zur Veranschaulichung führt Dieter E. Zimmer ein geniales Beispiel an, welches ich an dieser Stelle nicht vorenthalten möchte. So könnte eine in Amerika lebende deutschsprachige Person, beispielsweise folgenden Satz von sich geben:

„Die Kau ist ober den Fenz gejumpt und hat den Käbbitsch gedämitscht – da mussten wir den Karpenter fetschen, damit er‘s fixen tut.“

Eine in Deutschland lebende, englischsprachige Person würde hingegen sagen: „De Kuh hat gespringt über das Zaun und geschadet das Kohl…“

Die Grammatik sitzt also viel fester als das Vokabular, bei dem es dann zur Vermischung kommt. Diese vermischende Zweisprachigkeit entsteht, wenn beispielsweise im Elternhaus beide Sprachen gelernt werden.

Typisch für die Entstehung einer unterordnenden Zweisprachigkeit ist der Fremdsprachenunterricht. Die Fremdsprache lehnt sich bei dieser Art der Zweisprachigkeit sozusagen an die Muttersprache an.

Nebenordnende Zweisprachigkeit bedeutet, dass beide Sprachen unabhängig voneinander gelernt werden. Sie gilt als das Optimum und entsteht, wenn die Sprachen in verschiedenen Umwelten erlernt werden, also z.B. zu Hause Deutsch und in der Kita Polnisch. Oder auch zu Hause Tschechisch und bei Oma Deutsch. Oder im Urlaub Englisch und … Wichtig ist wie gesagt nur, dass die beiden Sprachen in unterschiedlichen Milieus gelernt werden.

Um den Bogen zu schließen: Meine Cousins, deren Zweisprachigkeit laut Herrn Zimmer ja folglich eine vermischende sein muss, stehen ihren Klassenkameraden um nichts nach, obwohl sie nicht das Optimum des Fremdsprachenerwerbs mitbekommen haben (oder vielleicht auch genau deswegen?) und beeindrucken mich bei jedem Treffen aufs Neue mit ihren Sprachkenntnissen und dem mühelosen Hin-und-Her-Switchen zwischen den Sprachen.

Meiner Meinung nach ist es also trotz allem generell von Vorteil zweisprachig aufzuwachsen, egal welche Art der Zweisprachigkeit dabei entsteht. Wenn die Möglichkeit besteht eine nebenordnende Zweisprachigkeit zu fördern, ist das natürlich umso besser, aber von Nachteil sind andere Arten der Zweisprachigkeit meines Erachtens keines Falls.

Was mich angeht: ich werde mir wohl weiterhin mühsam jedes Detail der polnischen Grammatik einprägen müssen, um am Ende wenigstens ein kurzes Gespräch auf Polnisch mit unverkennbarem deutschen Akzent führen zu können…

Dieter E. Zimmer: So kommt der Mensch zur Sprache. Über Spracherwerb, Sprachentstehung, Sprache & Denken.

ISBN-10: 3453600657; ISBN-13: 978-3453600652
Details: Taschenbuch: 288 Seiten, ca. 9 Euro

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