Ein freiwilliges tschechisches Jahr in CORONA-Zeiten? Leonie zwischen Leipzig und Ústí nad Labem

Die LaNa berichtet gern von Menschen, vom Schüler bis zur Seniorin, die sich den Nachbarsprachen Polnisch bzw. Tschechisch und der Kultur der Nachbarn geöffnet haben. Lesen Sie heute die Geschichte von einer jungen Frau, die nach ihrem Abitur ein Jahr als Freiwillige in Tschechien gearbeitet hat, was sie dazu bewogen hat und warum sie sich für das Nachbarland und nicht einen fernen Ort für ihr freiwilliges Jahr entschieden hat: Leonie Mühle ist 19 Jahre alt und ist in Leipzig geboren und aufgewachsen.

Einsatzstelle in Ústí nad Labem

LANA: Erzählen Sie uns bitte etwas über Ihre Einsatzstelle als Freiwillige in CZ. Was sind Ihre Aufgaben?

L.Mühle: Ich arbeite in der Obchodní akademie a jazykova škola s pravem státní jazykové zkoušky in Ústí nad Labem (Handelsakademie und Sprachschule in Ústí nad Labem). Es ist eine weiterführende Schule. Die Grundschule geht in Tschechien bis zur 9. Klasse. Somit wird in der Schule, in der ich arbeite von der 10. bis 13. Klasse unterrichtet. Da es eine Handelsakademie ist, legen viele SchülerInnen eine Art Fachabitur in der Richtung Wirtschaft ab. Ich selber bin jedoch nicht im tschechisch-sprachigen Unterricht dabei, sondern im Deutschunterricht. Die Schule bietet neben Englisch auch weitere Fremdsprachen an: Französisch, Russisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch und eben auch Deutsch. Meine Aufgaben bestehen in erster Linie darin, die Deutschlehrerinnen im Unterricht zu unterstützen und den SchülerIinnen bei der Aussprache und dem Schreiben von Texten zu helfen. Ich mache mit den SchülerInnen sehr viel Konversation, damit sie die Aussprache einer Muttersprachlerin hören. Schwer sind für sie vor allem die Umlaute „ö“ und „ü“ und der Buchstabe „e“. Ich habe mit ihnen auch Zungenbrecher geübt. Für SchülerInnen, die ihre mündliche Prüfung in Deutsch machen wollten, habe ich zudem einen Konversationskurs angeboten. Das heißt, wir haben zusammen die Abiturthemen besprochen oder einfach nur so gequatscht. Das war auch für mich sehr lehrreich, weil ich viel über Tschechien erfahren habe.

Für die Lehrerinnen war ich insofern eine Unterstützung, dass ich als Muttersprachlerin einige Ausdrücke, Artikel, Schreibweisen oder ganz normales „Alltagsdeutsch“ besser kenne. Wenn sie beispielsweise den Artikel nicht wussten oder sich unsicher bei der Schreibweise eines Wortes waren, dann habe ich ihnen geholfen.

In Zeiten des online-Unterrichts war es auch für die Lehrerinnen ziemlich stressig. Laut Aussagen meiner Anleiterin beträgt die Vorbereitung für eine Stunde immer die doppelte Zeit (also für 90min Unterricht ungefähr 180min Vorbereitung). Deshalb habe ich auch bei Korrekturen geholfen. Also, ich habe Audios/Videos von SchülerInnen angehört und Tipps gegeben oder Texte kontrolliert.

Ich war tatsächlich in dem Freiwilligen-Jahr – leider – mehr in Leipzig als in Ústí und mehr vorm Laptop als in der Klasse. Das ist sehr schade, weil ich mir das Jahr anders vorgestellt habe. Nichtsdestotrotz war der Austausch mit den Lehrerinnen und SchülerInnen immer vorhanden, somit war der Bezug zu Tschechien am Ende doch meist da.

Warum ein freiwilliges Jahr in Tschechien?

LaNa: Wie sind Sie darauf gekommen, sich als Freiwillige in Tschechien zu bewerben? Sprechen Sie die Nachbarsprache?

Ich wusste bereits während meiner Schulzeit, dass ich raus aus Leipzig möchte. Mich haben andere Länder und Kulturen immer schon fasziniert. Wohin genau die Reise gehen sollte, wusste ich allerdings nicht. Ich habe mich zuerst bei einer anderen Organisation beworben, die Freiwillige in die ganze Welt versendet, bevor ich die „Paritätische Freiwilligendienste Sachsen gGmbH“ per Zufall beim Suchen nach weiteren Organisationen gefunden habe. Tschechien ist ein Nachbarland Deutschlands, nicht weit von Leipzig entfernt und trotzdem wusste ich wenig über dieses Land. Aus Interesse und Neugier habe ich mich beworben und wenige Wochen später auch gleich die Zusage erhalten.

Als ich angefangen habe, wusste ich tatsächlich nicht mehr über Tschechien, als dass Prag die Hauptstadt ist, viel Bier getrunken wird und „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ ein tschechischer Film ist. Die Sprache konnte ich somit auch nicht. Aber irgendwie hat mich genau das gereizt. Neben der Arbeit als Freiwillige in der Schule habe ich somit auch die Möglichkeit, Tschechien als Land und die Menschen kennenzulernen. Denn am besten lernt man doch durch eigene Erfahrungen.

Wir haben von der Parität die Möglichkeit erhalten, einen Sprachkurs zu besuchen. Lustiger weise war unsere Sprachlehrerin eine Lehrerin bei mir aus der Schule. Wir (zwei weitere Freiwillige und ich) hatten ein halbes Jahr Tschechisch-Stunden. Wir haben Themen angesprochen wie Begrüßungen, Essen und Trinken, Orientierung in der Stadt, Uhrzeiten etc. Es hat mir die Möglichkeit gegeben, mich ein bisschen besser durch das Tschechische zu kämpfen. Ich verstehe mittlerweile grundlegend, was Menschen von mir wollen, leider hapert es an meinem eigenen Wortschatz, um zu antworten… Seit dem Frühjahr habe ich Tschechisch leider nicht weiter gelernt, weil es sich für mich nicht gelohnt hatte. Ich war überwiegend in Leipzig und hatte damit wenige Berührungspunkte mit der Sprache an sich. Seit ich wieder hier in Ústí bin, nutze ich das brüchige Tschechisch, was ich mir in dem halben Jahr angeeignet habe. Und irgendwie funktioniert es. Unnütz war der Sprachkurs also nicht, im Gegenteil.

Land, Sprache und Leute

LaNa: Gibt es bestimmte Episoden, die Sie mit Tschechisch und dem Nachbarland verbinden, die Sie geprägt haben bzw. Ihnen in Erinnerung sind?

Mir bleibt beispielsweise in Erinnerung, wie hilfsbereit und freundlich viele Tschechen sind. Die Lehrerinnen auf Arbeit sind wirklich toll und ich habe sie ins Herz geschlossen. Aber auch BahnmitarbeiterInnen waren (bisher) sehr, sehr hilfsbereit. Bahnfahren in Tschechien macht wirklich Spaß: Die Zugtickets sind erschwinglich (für mich als Deutsche sind sie günstig) und die Natur ist traumhaft schön. Ich wohne in einer Umgebung mit sehr vielen Bergen. Wenn ich eine Freiwillige, die mittlerweile eine sehr gute Freundin geworden ist, in Krásná Lípa besuche, schaue ich während der Zugfahrt immer nur aus dem Fenster – so schön ist es. Einmal hatte mein Zug so viel Verspätung, dass ich den Anschlusszug nicht mehr geschafft habe. Ich wollte nach Krásná Lípa, aber musste einmal umsteigen. Die Tickets können 4 Stunden genutzt werden, solange man sich auf der Strecke vom Abfahrtsort zum Zielort befindet. Deswegen habe ich mir eine andere Verbindung gesucht. Nur wurde die offenbar so gut wie nie benutzt, um nach Krásná Lípa zu kommen. Der Bahnmitarbeiter hatte mein Ticket und die Verbindung nur komisch beäugt und mir etwas erklärt, nur leider auf Tschechisch. Ich war sehr verwirrt, weil ich nicht wusste, was er von mir wollte (ich sagte ihm, dass ich kein Tschechisch spreche, aber er hat es nicht weiter beachtet). Aber, es hat sich geklärt: Ich musste in einem kleinen Ort umsteigen und der Bahnmitarbeiter hat mir geholfen. Er hat mit mir auf den anderen Zug gewartet und mit der anderen Bahnmitarbeiterin gesprochen, um weitere Komplikationen zu vermeiden. Ich bin ihm bis heute dankbar.

Bei diesem Erlebnis war die Sprachbarriere kein allzu großes Problem, aber ich habe auch schon anderes erlebt, als ich beispielsweise beim PCR-Test auf drei MitarbeiterInnen gestoßen bin, die allesamt kein Englisch konnten, oder auch auf der Post, als ich ein Paket nach Deutschland verschicken wollte und ich mich über einen Übersetzer verständigt habe.

In Erinnerung wird mir auch immer die Natur bleiben. Ich glaube, ich werde die Berge und Wälder wirklich vermissen, wenn ich wieder in Leipzig bin.

Mit der tschechischen Sprache werde ich immer verbinden, dass sie sieben Fälle hat. Das hat uns als AnfängerInnen sehr verwirrt, weil sich die Wortendung gefühlt immer verändert. Oftmals habe ich die Wörter gar nicht erkannt. So beispielsweise „metro“ (die Metro): Wenn man mit der Metro fahren muss, dann ändert sich „metro“ zu „metrem“. Es ist sehr verwirrend…

Freiwilligendienst und dann?

LaNa: Was möchten Sie nach dem Jahr als Freiwillige tun und wie wird Ihnen das Jahr in Tschechien dabei behilflich sein?

Ich möchte nach dem Freiwilligenjahr studieren. Am liebsten eine Fremdsprache und/oder Soziologie. Das Jahr hat mir insofern geholfen, dass ich Zeit hatte, mir über meinen beruflichen Weitergang Gedanken zu machen – dafür hatte ich vorher keine Zeit. Ich habe herausgefunden, was ich gern mache, was mir nicht liegt und wo ich mich vielleicht sehen könnte oder welcher Berufszweig gar nichts für mich ist. Als Lehrerin sehe ich mich nicht, obwohl mir die Arbeit größtenteils Spaß gemacht hat.

Das Jahr in Tschechien hat mich zudem auf das Alleinleben vorbereitet. Wie ich von einem ehemaligen Freiwilligen gehört habe: „Man wird sehr schnell selbstständig.“. Dem kann ich nur zustimmen. Ich denke, dass, sollte ich in einer anderen Stadt studieren, ich darauf vorbereitet bin und mich schneller zurechtfinde.

Darum lohnt es sich, das Nachbarland kennenzulernen

LaNa: Was können Sie anderen Interessierten oder BewohnerInnen der Grenzregion mit auf den Weg geben, warum es sich lohnt die naheliegende Sprache zu erlernen?

Sprache ist ein Stück weit die Identität und Geschichte eines Landes sowie der Menschen, die darin leben. Möchte man ein Land näher kennenlernen, dann ist die Sprache ein wichtiger Schritt. Selbstverständlich kann man so gut wie alles über ein Land nachlesen oder man schaut sich Dokumentationen an. Aber ist es nicht viel schöner, mit Menschen direkt in Kontakt treten zu können? Es macht so viel mehr Spaß, Erfahrungen und Erlebnisse vor Ort selber zu sammeln, als nur darüber zu lesen. Es bleibt zudem viel mehr im Gedächtnis hängen. Mindestens genauso wichtig, wie sich selber weiterzubilden, ist ein generelles Grundverständnis für das andere Land zu entwickeln. Warum handeln die Menschen so? Warum gibt es diese Traditionen und warum werden sie bis heute beibehalten? Was sagen die Menschen zu ihrer Regierung? Was halten sie von ihrem eigenen Land und den Menschen? Stimmen die Vorurteile?

Ist es nicht bereichernd, sich mit den Menschen vor Ort zu unterhalten? Allein für den Versuch, die andere Sprache zu sprechen, wird man mit offenen Armen erwartet. Ich erinnere mich, wie erfreut die Lehrerinnen waren, als ich ihnen „Hezký víkend!“ (Schönes Wochenende!) gewünscht habe.

Tschechien ist nicht weit von Leipzig entfernt und trotzdem wird so wenig über dieses Land in der Schule berichtet (jedenfalls in Leipzig). Ich finde, bereits jungen Menschen sollte mehr über die (Nachbar-) Länder beigebracht werden, damit ein generelles Verständnis der Kulturen entsteht.
Und Tschechien ist ein Land, das es wert ist, kennengelernt zu werden.

Infos zum Freiwilligendienst

Wir danken Leonie Mühle, dass Sie uns ihre Geschichte aus der sächsisch-tschechischen Grenzregion erzählt hat. Wir wünschen ihr viel Erfolg auf ihrem weiteren Weg und dass sie die in Ústí gesammelten Erfahrungen weiterhin begleiten. Sind Sie beim Lesen dieser Geschichte neugierig geworden auf ein freiwilliges Jahr im Nachbarland Polen oder Tschechien? Die Paritätischen Freiwilligendienste Sachsen gGmbH sind Ihr kompetenter Ansprechpartner für Ihre Fragen und beraten Sie diesbezüglich gern.

Vielleicht sind Sie aber auch als Kita daran interessiert, tschechische und polnische Jugendliche als Freiwillige in Ihrer Einrichtung zu begrüßen? Der Paritätische berät Sie ebenfalls gern als potentielle Einsatzstelle für einen Freiwilligendienst in Sachsen. Mehr Informationen und Kontakt auf parisax.de.

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