Wo Witaj und 2plus Früchte tragen

Eine zweite Sprache von Muttersprachler/innen zu lernen, ist ein effektiver und empfohlener Weg für den Fremdsprachenerwerb. Dabei gilt die Immersionsmethode als die erfolgreichste Lehr- und Lernmethode. Auf diesem Weg lernen bereits in einigen Kitas der sächsischen Grenzregionen Kinder Polnisch und Tschechisch. Vor allem aber auch in sorbischen Einrichtungen wird mittels Immersion Sprache vermittelt, wie der folgende Beitrag von Andreas Kirschke zeigt.

(Autor: Andreas Kirschke für Serbske Nowiny und SZ-Niesky)

Maria Pötschke aus Halbendorf lernt seit früher Kindheit durchweg sorbisch – für ein Jahr auch als FSJlerin im Ralbitzer Kindergarten Ralbitz / Ralbicy. Hanna, Lena, Veronika und Linus in der Ralbitzer Kindertagesstätte Dr. Jurij Młynk in Trägerschaft des Sorbischen Schulvereins spitzen die Ohren. „Móžemy so hrajkać“ (Wir können spielen) muntert Maria Pötschke die Kinder auf. Fließend redet die 21jährige aus Halbendorf (Kirchspiel Schleife) mit ihnen sorbisch. Sie spielt, singt und bastelt gern mit den Kindern. Soeben endete in Ralbitz im August ihr Freiwilliges Soziales Jahr. Vielseitige Aufgaben liegen hinter ihr. Seit früher Kindheit an lernt die junge Frau durchweg sorbisch.

„Ich habe Maria in den vergangenen drei Monaten erlebt. Mir fiel sofort auf, wie gut sie die Sprache spricht“, wertschätzt Ursula Burkhardt, amtierende Leiterin der Kita Ralbitz, Maria Pötschkes ruhigen, ausgeglichenen Charakter. „Dank ihr reflektieren wir uns selbstkritisch. Wir fragen uns: wie korrekt sprechen wir Muttersprachler im Alltag sorbisch? Wo sind wir nachlässig?“ Die FSJlerin motiviert und ermutigt die Muttersprachlerinnen zu mehr Sorgfalt. Zugleich lernt sie selbst von und mit ihnen. Während des Freiwilligen Sozialen Jahres durfte sie in Laske bei Familie Johannes und Gabriele Mickel wohnen. So tauchte sie auch privat außerhalb der Arbeit in den sorbischen Alltag ein. Im Kindergarten selbst betreute Erzieherin Kerstin Mau die 21jährige Maria Pötschke als Mentorin. Vielseitig in allen Gruppen kam die FSJlerin zum Einsatz. Sie half aus in der Mittagszeit. Sie betreute die Jüngsten in der Krippe. Sie half im Wirtschaftsbereich beim Abwaschen. Und sie lernte zugleich die Verwaltung der Kita kennen. Unter anderem organisierte sie auch die Essen-Versorgung mit. „Wir haben Maria viel Verantwortung gegeben“, sagt Ursula Burkhardt. „Das hat gut geklappt. Maria geht persönlich gereift aus diesem Jahr heraus.“ Der Schulverein begleitet sie seit ihrer Kindheit. 1999 übernahm er die Trägerschaft für den Witaj-Kindergarten Milenka in Rohne. Maria Pötschke gehörte zu den ersten Kindern, die dort spielerisch, ohne Anstrengung Sorbisch nach Methode der Immersion erwarben. Sie „tauchte“ Tag für Tag in den sorbischen Alltag ein. „Wir haben viel gesungen. Unsere Erzieherinnen legten viel Wert auf die Pflege der Traditionen, Bräuche und Trachten“, erzählt die 21jährige. Auf dem Dachboden ihrer Großmutter Emma Brünsch in Rohne entdeckte sie eine alte Trachtenschürze. „Oma gab sie mir gern“, sagt Maria Pötschke. „Ich will die Schürze jetzt umnähen lassen und eines Tages tragen.“

Nach dem Witaj-Kindergarten Milenka Rohne lernte Maria Pötschke konsequent sorbisch weiter. Im Schuljahr 2001 / 2002 gehörte sie zur ersten Klasse in der Grundschule Schleife, die nach Konzept 2plus Sorbisch erwarb. „Die Anfänge waren schwierig. Für uns alle war es Neuland. Auf Wunsch der Eltern führten wir das Konzept damals ein“, schildert Sorbisch-Lehrerin Silvia Seitz. Mit acht Schülern begann sie. Sechs Kinder kamen aus dem Rohner Witaj-Kindergarten Milenka, ein Kind kam aus Groß Düben und eines aus dem Schleifer Kindergarten. Maria Pötschke gehörte mit dazu. In der Mittelschule Schleife lernte sie daraufhin weiter sorbisch. Anfang der 8. Klasse wechselte sie ans Sorbische Gymnasium Bautzen. Sie war dort die erste 2plus-Schülerin aus Schleife. „Der Anfang war schwierig. Ich kannte niemanden. Manchmal hatte ich Heimweh“, erzählt sie von der Zeit im Internat. „Ab der 10. Klasse wurde es dann besser. Jetzt wohnten auch einige aus meiner Gymnasialklasse die ganze Woche über im Internat.“ Manchmal luden die muttersprachlichen Mitschüler Maria nach Hause zum Geburtstag ein. Sie staunten über deren Reichtum an Schleifer Sprache, Trachten und Kultur. Das war ihnen so nicht bekannt. In der 12.  Klasse übernahm Maria wie ihre Mitschüler die Patenschaft für die 5. Klasse im Gymnasium. Sie war Ansprechpartner in verschiedenen Fragen. Zusätzlich übernahm sie die Patenschaft für nachkommende weitere Schüler aus Schleife. Sie half ihnen oft bei den Hausaufgaben. 2013 legte sie am Gymnasium ihr Abitur ab. „Sorbisch mündliche Prüfung bestand ich mit 1“, sagt sie stolz. „Das war meine wichtigste Prüfung. Ich hatte Glück und zog direkt ein Thema zum Schleifer Kirchspiel und zu den Folgen der Braunkohle-Förderung.“ Maria Pötschke meisterte die Aufgaben souverän. An der Universität Leipzig begann sie ihr Studium Lehramt Mittelschule für Evangelische Religion und Sorbisch. Nach einiger Zeit brach sie ab. Sie suchte nach Orientierung und Neubeginn. Ein Freiwilliges Soziales Jahr wollte sie absolvieren. In vier Dresdner Kinder-gärten fragte sie nach. „Rettungsanker war der Sorbische Schulverein“, sagt sie dankbar. Dieser ermöglichte – in Absprache mit den Erziehe-rinnen und Eltern – ein Freiwilliges Soziales Jahr im Ralbitzer Kindergarten Dr. Jurij Młynk. „Natürlich war es ein gewisses Risiko. Wir wussten nicht, was auf uns zukommt. Doch die Eltern haben Marias sprachliche Qualitäten bald honoriert und akzeptiert“, sagt Ludmila Budarjowa, Vorsitzende des Sorbischen Schulvereins und unterstreicht: „Die Laufbahn der einzelnen Witaj-Kinder ist uns wichtig. Wir stärken sie in ihrer Selbstfindung und Identitätsfindung. Maria war für den Ralbitzer Kindergarten ein Glücksfall. Bei ihr tragen Witaj und 2plus langfristig Früchte.“

Statt nur wesentlicher Vokabeln und kurzer Sätze kann Maria Pötschke sich heute souverän sorbisch mit Muttersprachlern unterhalten. Sie ist beweglich und kreativ in der Sprache. Sie redet sicher und fließend sorbisch. Dank der Zeit in Laske und Ralbitz wuchs ihr Stolz auf die eigenen sorbischen Wurzeln mitten im Schleifer Kirchspiel. „Jetzt will ich wieder nach Hause“, unterstreicht sie. Für drei Jahre lernt sie nun Erzieherin im Oberstufenzentrum Cottbus. Ihre Praxis-Einrichtung für drei Tage pro Woche ist der Witaj-Kindergarten Milenka Rohne, der jetzt in Trägerschaft der Gemeinde Schleife ist. Dort würde sie gern eines Tages all ihr Gelerntes an die Kinder weitergeben und Tag für Tag neu hinzulernen. „Maria bringt die sprachliche Sicherheit aus der Praxis mit“, ermutigt sie Ludmila Budarjowa dafür.

Nach wie vor liest Maria tagtäglich Sorbisch. Sie nimmt Zeitungen wie Serbske Nowiny und Nowy Casnik sowie die Zeitschrift Serbska Šula (Sorbische Schule) zur Hand. Auch mit Freunden aus ihrer Schulzeit am Gymnasium hält sie Kontakt. „Vor kurzem erst traf ich eine Freundin (sie ist sorbische Muttersprachlerin) beim Folklorefestival in Crostwitz wie-der“, schildert die 21jährige. „Sie war erstaunt, wie fließend ich heute sorbisch spreche und meinte: ´Mensch, Maria. Das ist ja wunderbar.´“

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